10.03.2013

Im Pulverschnee im Tal der Maira


Vom 3. bis 9. März 2013 war die Skitourengruppe Thun-Strättligen im Valle Maira in den Westalpen des Piemont unterwegs. Dieser Bericht beschreibt in Bildern und Worten die an Erlebnissen reiche Woche. (Aktualisierter Bericht, 10.3.13)

Sonntag, 3. März: Acceglio − ein Dorf im Winterschlaf 
500 Kilometer fahren wir Richtung Süden. Sonne, blauer Himmel, wenig los auf den Strassen. Die ItalienerInnen machen Siesta. Es ist nicht mehr Winter und noch nicht Frühling. Nach 100 Kurven durchs Valle Maira kommen wir in Acceglio an. Ein Dorf im Winterschlaf. Birra, Antipasti, Primi, Secondi Piatti. Es schmeckt wunderbar. Tutto bene.

Montag, 4. März: Berge, Berge, Berge ... 

Das Bergtal mit dem Fluss Maira liegt im Hinterland von Turin. Es ist eine bevölkerungsarme Region, grossartig und einfach. Hier gibt es noch nicht alles. Ein Eldorado fürs Wandern und Biken, von Frühling bis Herbst. Im Winter sind die Nordhänge fürs Skitourenfahren attraktiv. Der Führer für das Valle Maira beschreibt über 100 Skitouren. Das heisst, wir könnten von Januar bis in den April hinein jeden Tag eine andere Skitour machen! − Heute ist das Wetter schön, für den Rest der Woche verheisst der Wetterbericht durchzogene Verhältnisse. Also starten wir mit einer Königsetappe: Bric Cassin heisst das Ziel, 2637 Meter über Meer. Das reicht nicht ganz für freie Sicht aufs Mittelmeer, bietet aber ein prächtiges Bergpanorama. Wir starten in Chialvetta (1500m), einem der alten Sommerdörfer mit Häusern aus Stein und Holz, Pratorotondo und Viviere sind weitere. Der Aufstieg über die Alpweiden ist sanft, wir drehen nach links in ein weiteres Tal, hinauf auf den Pass und steigen über den Südwesthang auf den Bric Cassin. Die Aussicht ist bei diesem Wetter wunderbar: Berg, Berge, Berge. Für die Abfahrt finden wir noch schattige Hänge und pulvrigen Schnee. In Viviere tanken wir neue Kräfte und lassen es uns mit Radler, Crostini, Speck, Salami und Wein gut gehen.

Dienstag, 5. März: Lardo, Coppa, Sardellen, Käse und Wein
Annemarie, Roland, Doris, Robert, Beatrice, Walter, Susanne, Godi, Carlo, Heinz und Hans heissen die TeilnehmerInnen dieser Tourenwoche. Und dann ist da noch Giuliano, Bergführer aus dem Südtirol, der uns bereits die beiden letzten Jahre souverän durch die Berge geführt hatte. − Heute Dienstag ist der Himmel grau. Nebel klebt an den Bergen. Bald wird Schnee vom Himmel fallen. Entsprechend hat Giuliano eine Schlechtwettertour auf dem Programm. Wir steigen vom Valle del Preit 900 Höhenmeter durch Lärchenwälder auf den M. Giobert (2439m). Trotz Wind, Nebel und Schneetreiben schaffen wir es bis auf den Gipfel, treten aber wegen dem garstigen Wetter sogleich den Rückzug an. Der Schnee ist variabel, die Sicht schlecht, doch die Abfahrt gerät ordentlich. Womit wir den kulinarischen Teil dieses Tages in Angriff nehmen können. Drinnen, in der wohligen Wärme der Osteria La Mormu geniessen wir ein feines italienisches Zvieri, wozu Lardo, Coppa, Sardellen, Käse aus der Region, Bier, Wein, Kaffee und Schnaps gehören.

Mittwoch, 6. März: Das Tief von Genua bringt viel Schnee
Piemont bedeutet Süden, Sonne, Sommer. Doch im Valle Maira herrscht heute tiefer Winter. Das Tief von Genua lässt es einen halben Tag, eine Nacht und einen weiteren Tag schneien. 30 bis 40 Zentimeter Pulverschnee verwandeln das Tal in eine Wintermärchenlandschaft. Doch der Neuschnee hat auch seine Tücken, lässt Strassengraben unsichtbar werden. Schwups, landen wir mit unseren Fahrzeugen in ebendiesem Graben. Mit vereinten Kräften können wir uns aus der ungemütlichen Lage befreien. Wir starten in Vernetti und steigen in dichtem Schneetreiben fast 1000 Höhenmeter zum Costa Chiggia (2156m) hoch. Bergführer Giuliano leistet beim Spuren eine Riesenarbeit. Mille grazie! Auch diesmal lädt das Wetter auf dem Gipfel nicht zum Picknick ein. Also nichts wie runter. Kurven im Pulverschnee. Durch verschneite Lärchenwälder. Einfach fantastisch. Den Gipfelrast holen wir im Tal mit einem feinen Salami-Mortadella-Käse-Speck-Zvieri-Plättli nach. Tutto bene.

Donnerstag, 7. März: Viel Wald und Kreideschnee
Nach dem Frühstück blinzelt die Sonne durch die Wolken. Es ist reichlich Schnee gefallen und es ist warm. Damit hat sich die Lawinengefahr markant erhöht, was bei der Tourenwahl zu berücksichtigen ist. Wir steigen von Chialvetta durch den verschneiten Wald in Richtung Soleglio Bue (2413m) hoch. Unser Bergführer ist im Hauptberuf Förster. Vermutlich sind wir darum die Tourengruppe mit den meisten Waldkilometern. Der Pulverschnee ist heute klebrig; Kreideschnee, wie die Italiener sagen. In der Ferne ist das Krachen von Lawinen zu hören, Nebelschwaden ziehen vorüber. Die Sicherheit geht vor: Wir verzichten auf den steilen Gipfelhang und picknicken für einmal an einem lauen Plätzchen. In der Abfahrt üben wir uns im Fahren von Kreideschnee in Lärchenwäldern. Der Chronist macht einen mirakulösen Ausflug in einen Bachgraben, Roland schliesst Bekanntschaft mit einem Baum und Annemarie wird zum Dornröschen. Im Posta Tappa stellen wir bei Bier, Wein, Bohnensuppe und Sardinen fest, dass unsere Knochen noch ganz und die Stimmung ungebrochen gut ist.

Freitag, 8. März: Sonne in den Gläsern
Der neue Tag ist grau. Und in der Nacht zuvor hat es in den Schnee geregnet, so dass er sich wie Beton anfühlt. Drinnen ist die Stimmung für einmal gedämpft. Die anderen Gäste reisen ab. Wir bleiben. Starten zu einer Skitour light. Diese beginnt unterhalb von Chialvetta und endet 300 Höhenmeter weiter oben in einem hübschen und warmen Refugio in Viviere. Wir trinken die Sonne aus den Gläsern. Die Stimmung steigt, wird zunehmend fröhlich. Ungewohnt und ausnahmsweise für die seriöse Tourengruppe Strättligen, nehmen wir die Abfahrt ein wenig beschwipst in Angriff. Trotz anspruchsvoller Schneeverhältnisse kommen wir mehr oder weniger sturzfrei ins Ziel. Wir freuen uns auf den letzten Abend in Acceglio und packen für die Heimreise. Arrivederci Valle Maira! Ein paar von uns kommen in den nächsten Jahren sicher zurück!

Nützliche Links
www.skitouren-piemonte.it
www.wandern-piemonte.it
www.mtb-piemonte.it
www.hotel-londra.eu
www.lamarmu.com
www.ceaglio-vallemaira.it
 
Buchtipp
Antipasti und alte Wege, Rotpunktverlag
Von Ursula Bauer / Jürg Frischknecht

Und ausserdem ...
Die Schönheit der Berge, die Tier- und die Pflanzenwelt und die Ruhe sind die eine Seite des Valle Maira. Das Tal der Maira hat aber auch seine tragische Geschichte. Im 19. Jahrhundert war die Region ausserordentlich dicht besiedelt, eine Hochburg der Berglandwirtschaft. Neue Strassen und die Industrie führten zur Abwanderung. Fiat in Turin, Zulieferbetriebe in der Ebene und ein grosses Michelin-Werk bei Cueno mit 3000 Arbeitsplätzen führten zu einer regelrechten Entvölkerung der Berggebiete. Auch wenn der Tourismus das Tal zunehmend neu entdeckt: Es ist eine Landschaft, der die Leute davongelaufen sind. Verlassene Weiler werden von der Natur zurückerobert. Il buco nero d'Europa, das schwarze Loch Europas, mit der Bevölkerungsdichte von Alaska.

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Text/Bilder
Godi Huber